Kafka: "Die Verwandlung"
           
            METAMORPHOSEN: 
            Bildnerische Betrachtungen zu Kafkas "Die Verwandlung"  
          
  
            Potloodtekeningen van Martin 
            Linnartz,geinspireerd door Kafka's Metamorphosis 
          
  
            
             
        
         III 
          
          ie 
          schwere Verwundung Gregors, an der er über einen Monat litt  der 
          Apfel blieb, da ihn niemand zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken 
          im Fleische sitzen , schien selbst den Vater daran erinnert zu 
          haben, daß Gregor trotz seiner gegenwärtigen traurigen und ekelhaften 
          Gestalt ein Familienmitglied war, das man nicht wie einen Feind behandeln 
          durfte, sondern demgegenüber es das Gebot der Familienpflicht war, den 
          Widerwillen hinunterzuschlucken und zu dulden, nichts als zu dulden. 
          Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde an Beweglichkeit wahrscheinlich 
          für immer verloren hatte und vorläufig zur Durchquerung seines Zimmers 
          wie ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte  an das Kriechen 
          in der Höhe war nicht zu denken , so bekam er für diese Verschlimmerung 
          seines Zustandes einen seiner Meinung nach vollständig genügenden Ersatz 
          dadurch, daß immer gegen Abend die Wohnzimmertür, die er schon ein bis 
          zwei Stunden vorher scharf zu beobachten pflegte, geöffnet wurde, so 
          daß er, im Dunkel seines Zimmers liegend, vom Wohnzimmer aus unsichtbar, 
          die ganze Familie beim beleuchteten Tische sehen und ihre Reden, gewissermaßen 
          mit allgemeiner Erlaubnis, also ganz anders als früher, anhören durfte. 
          Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen der früheren 
          Zeiten, an die Gregor in den kleinen Hotelzimmern stets mit einigem 
          Verlangen gedacht hatte, wenn er sich müde in das feuchte Bettzeug hatte 
          werfen müssen. Es ging jetzt meist nur sehr still zu. Der Vater schlief 
          bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester 
          ermahnten einander zur Stille; die Mutter nähte, weit unter das Licht 
          vorgebeugt, feine Wäsche für ein Modengeschäft; die Schwester, die eine 
          Stellung als Verkäuferin angenommen hatte, lernte am Abend Stenographie 
          und Französisch, um vielleicht später einmal einen besseren Posten zu 
          erreichen. Manchmal wachte der Vater auf, und als wisse er gar nicht, 
          daß er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: »Wie lange du heute schon 
          wieder nähst!« und schlief sofort wieder ein, während Mutter und Schwester 
          einander müde zulächelten. Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der 
          Vater, auch zu Hause seine Dieneruniform abzulegen; und während der 
          Schlafrock nutzlos am Kleiderhaken hing, schlummerte der Vater vollständig 
          angezogen auf seinem Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit 
          und warte auch hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen verlor 
          die gleich anfangs nicht neue Uniform trotz aller Sorgfalt von Mutter 
          und Schwester an Reinlichkeit, und Gregor sah oft ganze Abende lang 
          auf dieses über und über fleckige, mit seinen stets geputzten Goldknöpfen 
          leuchtende Kleid, in dem der alte Mann höchst unbequem und doch ruhig 
          schlief. Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter durch leise Zusprache 
          den Vater zu wecken und dann zu überreden, ins Bett zu gehen, denn hier 
          war es doch kein richtiger Schlaf, und diesen hatte der Vater, der um 
          sechs Uhr seinen Dienst antreten mußte, äußerst nötig. Aber in dem Eigensinn, 
          der ihn, seitdem er Diener war, ergriffen hatte, bestand er immer darauf, 
          noch länger bei Tisch zu bleiben, trotzdem er regelmäßig einschlief, 
          und war dann überdies nur mit der größten Mühe zu bewegen, den Sessel 
          mit dem Bett zu vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester mit kleinen 
          Ermahnungen noch so sehr auf ihn eindringen, viertelstundenlang schüttelte 
          er langsam den Kopf, hielt die Augen geschlossen und stand nicht auf. 
          Die Mutter zupfte ihn am Ärmel, sagte ihm Schmeichelworte ins Ohr, die 
          Schwester verließ ihre Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater 
          verfing das nicht. Er versank nur noch tiefer in seinen Sessel. Erst 
          als ihn die Frauen unter den Achseln faßten, schlug er die Augen auf, 
          sah abwechselnd die Mutter und die Schwester an und pflegte zu sagen: 
          »Das ist ein Leben. Das ist die Ruhe meiner alten Tage.« Und auf die 
          beiden Frauen gestützt, erhob er sich, umständlich, als sei er für sich 
          selbst die größte Last, ließ sich von den Frauen bis zur Türe führen, 
          winkte ihnen dort ab und ging nun selbständig weiter, während die Mutter 
          ihr Nähzeug, die Schwester ihre Feder eiligst hinwarfen, um hinter dem 
          Vater zu laufen und ihm weiter behilflich zu sein. Wer hatte in dieser 
          abgearbeiteten und übermüdeten Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu 
          kümmern, als unbedingt nötig war? Der Haushalt wurde immer mehr eingeschränkt; 
          das Dienstmädchen wurde nun doch entlassen; eine riesige knochige Bedienerin 
          mit weißem, den Kopf umflatterndem Haar kam des Morgens und des Abends, 
          um die schwerste Arbeit zu leisten; alles andere besorgte die Mutter 
          neben ihrer vielen Näharbeit. Es geschah sogar, daß verschiedene Familienschmuckstücke, 
          welche früher die Mutund die Schwester überglücklich bei Unterhaltungen 
          und Feierlichkeiten getragen hatten, verkauft wurden, wie Gregor am 
          Abend aus der allgemeinen Besprechung der erzielten Preise erfuhr. Die 
          größte Klage war aber stets, daß man diese für die gegenwärtigen Verhältnisse 
          allzu große Wohnung nicht verlassen konnte, da es nicht auszudenken 
          war, wie man Gregor übersiedeln sollte. Aber Gregor sah wohl ein, daß 
          es nicht nur die Rücksicht auf ihn war, welche eine Übersiedlung verhinderte, 
          denn ihn hätte man doch in einer passenden Kiste mit ein paar Luftlöchern 
          leicht transportieren können; was die Familie hauptsächlich vom Wohnungswechsel 
          abhielt, war vielmehr die völlige Hoffnungslosigkeit und der Gedanke 
          daran, daß sie mit einem Unglück geschlagen war, wie niemand sonst im 
          ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis. Was die Welt von armen Leuten 
          verlangt, erfüllten sie bis zum äußersten, der Vater holte den kleinen 
          Bankbeamten das Frühstück, die Mutter opferte sich für die Wäsche fremder 
          Leute, die Schwester lief nach dem Befehl der Kunden hinter dem Pulte 
          hin und her, aber weiter reichten die Kräfte der Familie schon nicht. 
          Und die Wunde im Rücken fing Gregor wie neu zu schmerzen an, wenn Mutter 
          und Schwester, nachdem sie den Vater zu Bett gebracht hatten, nun zurückkehrten, 
          die Arbeit liegenließen, nahe zusammenrückten, schon Wange an Wange 
          saßen; wenn jetzt die Mutter, auf Gregors Zimmer zeigend, sagte: »Mach' 
          dort die Tür zu, Grete«, und wenn nun Gregor wieder im Dunkel war, während 
          nebenan die Frauen ihre Tränen vermischten oder gar tränenlos den Tisch 
          anstarrten. Die Nächte und Tage verbrachte Gregor fast ganz ohne Schlaf. 
          Manchmal dachte er daran, beim nächsten Öffnen der Tür die Angelegenheiten 
          der Familie ganz so wie früher wieder in die Hand zu nehmen; in seinen 
          Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit der Chef und der Prokurist, 
          die Kommis und die Lehrjungen, der so begriffsstützige Hausknecht, zwei, 
          drei Freunde aus anderen Geschäften, ein Stubenmädchen aus einem Hotel 
          in der Provinz, eine liebe, flüchtige Erinnerung, eine Kassiererin aus 
          einem Hutgeschäft, um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben 
          hatte  sie alle erschienen untermischt mit Fremden oder schon 
          Vergessenen, aber statt ihm und seiner Familie zu helfen, waren sie 
          sämtlich unzugänglich, und er war froh, wenn sie verschwanden. Dann 
          aber war er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie zu 
          sorgen, bloß Wut über die schlechte Wartung erfüllte ihn, und trotzdem 
          er sich nichts vorstellen konnte, worauf er Appetit gehabt hätte, machte 
          er doch Pläne, wie er in die Speisekammer gelangen könnte, um dort zu 
          nehmen, was ihm, auch wenn er keinen Hunger hatte, immerhin gebührte. 
          Ohne jetzt mehr nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen 
          machen könnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags 
          ins Geschäft lief, mit dem Fuß irgendeine beliebige Speise in Gregors 
          Zimmer hinein, um sie am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise 
          vielleicht nur verkostet oder  der häufigste Fall  gänzlich 
          unberührt war, mit einem Schwenken des Besens hinauszukehren. Das Aufräumen 
          des Zimmers, das sie nun immer abends besorgte, konnte gar nicht mehr 
          schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen sich die Wände entlang, 
          hie und da lagen Knäuel von Staub und Unrat. In der ersten Zeit stellte 
          sich Gregor bei der Ankunft der Schwester in derartige besonders bezeichnende 
          Winkel, um ihr durch diese Stellung gewissermaßen einen Vorwurf zu machen. 
          Aber er hätte wohl wochenlang dort bleiben können, ohne daß sich die 
          Schwester gebessert hätte; sie sah ja den Schmutz genau so wie er, aber 
          sie hatte sich eben entschlossen, ihn zu lassen. Dabei wachte sie mit 
          einer an ihr ganz neuen Empfindlichkeit, die überhaupt die ganze Familie 
          ergriffen hatte, darüber, daß das Aufräumen von Gregors Zimmer ihr vorbehalten 
          blieb. Einmal hatte die Mutter Gregors Zimmer einer großen Reinigung 
          unterzogen, die ihr nur nach Verbrauch einiger Kübel Wasser gelungen 
          war  die viele Feuchtigkeit kränkte allerdings Gregor auch und 
          er lag breit, verbittert und unbeweglich auf dem Kanapee , aber 
          die Strafe blieb für die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am Abend 
          die Schwester die Veränderung in Gregors Zimmer bemerkt, als sie, aufs 
          höchste beleidigt, ins Wohnzimmer lief und, trotz der beschwörend erhobenen 
          Hände der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach, dem die Eltern  
          der Vater war natürlich aus seinem Sessel aufgeschreckt worden  
          zuerst erstaunt und hilflos zusahen; bis auch sie sich zu rühren anfingen; 
          der Vater rechts der Mutter Vorwürfe machte, daß sie Gregors Zimmer 
          nicht der Schwester zur Reinigung überließ; links dagegen die Schwester 
          anschrie, sie werde niemals mehr Gregors Zimmer reinigen dürfen; während 
          die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins Schlafzimmer 
          zu schleppen suchte; die Schwester, von Schluchzen geschüttelt, mit 
          ihren kleinen Fäusten den Tisch bearbeitete; und Gregor laut vor Wut 
          darüber zischte, daß es keinem einfiel, die Tür zu schließen und ihm 
          diesen Anblick und Lärm zu ersparen. Aber selbst wenn die Schwester, 
          erschöpft von ihrer Berufsarbeit, dessen überdrüssig geworden war, für 
          Gregor, wie früher, zu sorgen, so hätte noch keineswegs die Mutter für 
          sie eintreten müssen und Gregor hätte doch nicht vernachlässigt werden 
          brauchen. Denn nun war die Bedienerin da. Diese alte Witwe, die in ihrem 
          langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues das Ärgste überstanden 
          haben mochte, hatte keinen eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie 
          neugierig zu sein, hatte sie zufällig einmal die Tür von Gregors Zimmer 
          aufgemacht und war im Anblick Gregors, der, gänzlich überrascht, trotzdem 
          ihn niemand jagte, hin und her zu laufen begann, die Hände im Schoß 
          gefaltet staunend stehengeblieben. Seitdem versäumte sie nicht, stets 
          flüchtig morgens und abends die Tür ein wenig zu öffnen und zu Gregor 
          hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich herbei, mit Worten, 
          die sie wahrscheinlich für freundlich hielt, wie »Komm mal herüber, 
          alter Mistkäfer!« oder »Seht mal den alten Mistkäfer!« Auf solche Ansprachen 
          antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb unbeweglich auf seinem Platz, 
          als sei die Tür gar nicht geöffnet worden. Hätte man doch dieser Bedienerin, 
          statt sie nach ihrer Laune ihn nutzlos stören zu lassen, lieber den 
          Befehl gegeben, sein Zimmer täglich zu reinigen! Einmal am frühen Morgen 
           ein heftiger Regen, vielleicht schon ein Zeichen des kommenden 
          Frühjahrs, schlug an die Scheiben  war Gregor, als die Bedienerin 
          mit ihren Redensarten wieder begann, derartig verbittert, daß er, wie 
          zum Angriff, allerdings langsam und hinfällig, sich gegen sie wendete. 
          Die Bedienerin aber, statt sich zu fürchten, hob bloß einen in der Nähe 
          der Tür befindlichen Stuhl hoch empor, und wie sie mit groß geöffnetem 
          Munde dastand, war ihre Absicht klar, den Mund erst zu schließen, wenn 
          der Sessel in ihrer Hand auf Gregors Rücken niederschlagen würde. »Also 
          weiter geht es nicht?« fragte sie, als Gregor sich wieder umdrehte, 
          und stellte den Sessel ruhig in die Ecke zurück. Gregor aß nun fast 
          gar nichts mehr. Nur wenn er zufällig an der vorbereiteten Speise vorüberkam, 
          nahm er zum Spiel einen Bissen in den Mund, hielt ihn dort stundenlang 
          und spie ihn dann meist wieder aus. Zuerst dachte er, es sei die Trauer 
          über den Zustand seines Zimmers, die ihn vom Essen abhalte, aber gerade 
          mit den Veränderungen des Zimmers söhnte er sich sehr bald aus. Man 
          hatte sich angewöhnt, Dinge, die man anderswo nicht unterbringen konnte, 
          in dieses Zimmer hineinzustellen, und solcher Dinge gab es nun viele, 
          da man ein Zimmer der Wohnung an drei Zimmerherren vermietet hatte. 
          Diese ernsten Herren  alle drei hatten Vollbärte, wie Gregor einmal 
          durch eine Türspalte feststellte  waren peinlich auf Ordnung, 
          nicht nur in ihrem Zimmer, sondern, da sie sich nun einmal hier eingemietet 
          hatten, in der ganzen Wirtschaft, also insbesondere in der Küche, bedacht. 
          Unnützen oder gar schmutzigen Kram ertrugen sie nicht. Überdies hatten 
          sie zum größten Teil ihre eigenen Einrichtungsstücke mitgebracht. Aus 
          diesem Grunde waren viele Dinge überflüssig geworden, die zwar nicht 
          verkäuflich waren, die man aber auch nicht wegwerfen wollte. Alle diese 
          wanderten in Gregors Zimmer. Ebenso auch die Aschenkiste und die Abfallkiste 
          aus der Küche. Was nur im Augenblick unbrauchbar war, schleuderte die 
          Bedienerin, die es immer sehr eilig hatte, einfach in Gregors Zimmer; 
          Gregor sah glücklicherweise meist nur den betreffenden Gegenstand und 
          die Hand, die ihn hielt. Die Bedienerin hatte vielleicht die Absicht, 
          bei Zeit und Gelegenheit die Dinge wieder zu holen oder alle insgesamt 
          mit einemmal hinauszuwerfen, tatsächlich aber blieben sie dort liegen, 
          wohin sie durch den ersten Wurf gekommen waren, wenn nicht Gregor sich 
          durch das Rumpelzeug wand und es in Bewegung brachte, zuerst gezwungen, 
          weil kein sonstiger Platz zum Kriechen frei war, später aber mit wachsendem 
          Vergnügen, obwohl er nach solchen Wanderungen, zum Sterben müde und 
          traurig, wieder stundenlang sich nicht rührte. Da die Zimmerherren manchmal 
          auch ihr Abendessen zu Hause im gemeinsamen Wohnzimmer einnahmen, blieb 
          die Wohnzimmertür an manchen Abenden geschlossen, aber Gregor verzichtete 
          ganz leicht auf das Öffnen der Tür, hatte er doch schon manche Abende, 
          an denen sie geöffnet war, nicht ausgenützt, sondern war, ohne daß es 
          die Familie merkte, im dunkelsten Winkel seines Zimmers gelegen. Einmal 
          aber hatte die Bedienerin die Tür zum Wohnzimmer ein wenig offen gelassen; 
          und sie blieb so offen, auch als die Zimmerherren am Abend eintraten 
          und Licht gemacht wurde. Sie setzten sich oben an den Tisch, wo in früheren 
          Zeiten der Vater, die Mutter und Gregor gegessen hatten, entfalteten 
          die Servietten und nahmen Messer und Gabel in die Hand. Sofort erschien 
          in der Tür die Mutter mit einer Schüssel Fleisch und knapp hinter ihr 
          die Schwester mit einer Schüssel hochgeschichteter Kartoffeln. Das Essen 
          dampfte mit starkem Rauch. Die Zimmerherren beugten sich über die vor 
          sie hingestellten Schüsseln, als wollten sie sie vor dem Essen prüfen, 
          und tatsächlich zerschnitt der, welcher in der Mitte saß und den anderen 
          zwei als Autorität zu gelten schien, ein Stück Fleisch noch auf der 
          Schüssel, offenbar um festzustellen, ob es mürbe genug sei und ob es 
          nicht etwa in die Küche zurückgeschickt werden solle. Er war befriedigt, 
          und Mutter und Schwester, die gespannt zugesehen hatten, begannen aufatmend 
          zu lächeln. Die Familie selbst aß in der Küche. Trotzdem kam der Vater, 
          ehe er in die Küche ging, in dieses Zimmer herein und machte mit einer 
          einzigen Verbeugung, die Kappe in der Hand, einen Rundgang um den Tisch. 
          Die Zimmerherren erhoben sich sämtlich und murmelten etwas in ihre Bärte. 
          Als sie dann allein waren, aßen sie fast unter vollkommenem Stillschweigen. 
          Sonderbar schien es Gregor, daß man aus allen mannigfachen Geräuschen 
          des Essens immer wieder ihre kauenden Zähne heraushörte, als ob damit 
          Gregor gezeigt werden sollte, daß man Zähne brauche, um zu essen, und 
          daß man auch mit den schönsten zahnlosen Kiefern nichts ausrichten könne. 
          »Ich habe ja Appetit«, sagte sich Gregor sorgenvoll, »aber nicht auf 
          diese Dinge. Wie sich diese Zimmerherren nähren, und ich komme um!« 
          Gerade an diesem Abend  Gregor erinnerte sich nicht, während der 
          ganzen Zeit die Violine gehört zu haben  ertönte sie von der Küche 
          her. Die Zimmerherren hatten schon ihr Nachtmahl beendet, der mittlere 
          hatte eine Zeitung hervorgezogen, den zwei anderen je ein Blatt gegeben, 
          und nun lasen sie zurückgelehnt und rauchten. Als die Violine zu spielen 
          begann, wurden sie aufmerksam, erhoben sich und gingen auf den Fußspitzen 
          zur Vorzimmertür, in der sie aneinandergedrängt stehenblieben. Man mußte 
          sie von der Küche aus gehört haben, denn der Vater rief: »Ist den Herren 
          das Spiel vielleicht unangenehm? Es kann sofort eingestellt werden.« 
          »Im Gegenteil«, sagte der mittlere der Herren, »möchte das Fräulein 
          nicht zu uns hereinkommen und hier im Zimmer spielen, wo es doch viel 
          bequemer und gemütlicher ist?« »O bitte«, rief der Vater, als sei er 
          der Violinspieler. Die Herren traten ins Zimmer zurück und warteten. 
          Bald kam der Vater mit dem Notenpult, die Mutter mit den Noten und die 
          Schwester mit der Violine. Die Schwester bereitete alles ruhig zum Spiele 
          vor; die Eltern, die niemals früher Zimmer vermietet hatten und deshalb 
          die Höflichkeit gegen die Zimmerherren übertrieben, wagten gar nicht, 
          sich auf ihre eigenen Sessel zu setzen; der Vater lehnte an der Tür, 
          die rechte Hand zwischen zwei Knöpfe des geschlossenen Livreerockes 
          gesteckt; die Mutter aber erhielt von einem Herrn einen Sessel angeboten 
          und saß, da sie den Sessel dort ließ, wohin ihn der Herr zufällig gestellt 
          hatte, abseits in einem Winkel. Die Schwester begann zu spielen; Vater 
          und Mutter verfolgten, jeder von seiner Seite, aufmerksam die Bewegungen 
          ihrer Hände. Gregor hatte, von dem Spiele angezogen, sich ein wenig 
          weiter vorgewagt und war schon mit dem Kopf im Wohnzimmer. Er wunderte 
          sich kaum darüber, daß er in letzter Zeit so wenig Rücksicht auf die 
          andern nahm; früher war diese Rücksichtnahme sein Stolz gewesen. Und 
          dabei hätte er gerade jetzt mehr Grund gehabt, sich zu verstecken, denn 
          infolge des Staubes, der in seinem Zimmer überall lag und bei der kleinsten 
          Bewegung umherflog, war auch er ganz staubbedeckt; Fäden, Haare, Speiseüberreste 
          schleppte er auf seinem Rücken und an den Seiten mit sich herum; seine 
          Gleichgültigkeit gegen alles war viel zu groß, als daß er sich, wie 
          früher mehrmals während des Tages, auf den Rücken gelegt und am Teppich 
          gescheuert hätte. Und trotz dieses Zustandes hatte er keine Scheu, ein 
          Stück auf dem makellosen Fußboden des Wohnzimmers vorzurücken. Allerdings 
          achtete auch niemand auf ihn. Die Familie war gänzlich vom Violinspiel 
          in Anspruch genommen; die Zimmerherren dagegen, die zunächst, die Hände 
          in den Hosentaschen, viel zu nahe hinter dem Notenpult der Schwester 
          sich aufgestellt hatten, so daß sie alle in die Noten hätten sehen können, 
          was sicher die Schwester stören mußte, zogen sich bald unter halblauten 
          Gesprächen mit gesenkten Köpfen zum Fenster zurück, wo sie, vom Vater 
          besorgt beobachtet, auch blieben. Es hatte nun wirklich den überdeutlichen 
          Anschein, als wären sie in ihrer Annahme, ein schönes oder unterhaltendes 
          Violinspiel zu hören, enttäuscht, hätten die ganze Vorführung satt und 
          ließen sich nur aus Höflichkeit noch in ihrer Ruhe stören. Besonders 
          die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den Rauch ihrer Zigarren in 
          die Höhe bliesen, ließ auf große Nervosität schließen. Und doch spielte 
          die Schwester so schön. Ihr Gesicht war zur Seite geneigt, prüfend und 
          traurig folgten ihre Blicke den Notenzeilen. Gregor kroch noch ein Stück 
          vorwärts und hielt den Kopf eng an den Boden, um möglicherweise ihren 
          Blicken begegnen zu können. War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff? 
          Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung. 
          Er war entschlossen, bis zur Schwester vorzudringen, sie am Rock zu 
          zupfen und ihr dadurch anzudeuten, sie möge doch mit ihrer Violine in 
          sein Zimmer kommen, denn niemand lohnte hier das Spiel so, wie er es 
          lohnen wollte. Er wollte sie nicht mehr aus seinem Zimmer lassen, wenigstens 
          nicht, solange er lebte; seine Schreckgestalt sollte ihm zum erstenmal 
          nützlich werden; an allen Türen seines Zimmers wollte er gleichzeitig 
          sein und den Angreifern entgegenfauchen; die Schwester aber sollte nicht 
          gezwungen, sondern freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte neben ihm 
          auf dem Kanapee sitzen, das Ohr zu ihm herunterneigen, und er wollte 
          ihr dann anvertrauen, daß er die feste Absicht gehabt habe, sie auf 
          das Konservatorium zu schicken, und daß er dies, wenn nicht das Unglück 
          dazwischen gekommen wäre, vergangene Weihnachten  Weihnachten 
          war doch wohl schon vorüber?  allen gesagt hätte, ohne sich um 
          irgendwelche Widerreden zu kümmern. Nach dieser Erklärung würde die 
          Schwester in Tränen der Rührung ausbrechen, und Gregor würde sich bis 
          zu ihrer Achsel erheben und ihren Hals küssen, den sie, seitdem sie 
          ins Geschäft ging, frei ohne Band oder Kragen trug.  
          
          
          
        »Herr Samsa!« rief der mittlere Herr dem Vater zu und zeigte, ohne 
          ein weiteres Wort zu verlieren, mit dem Zeigefinger auf den langsam 
          sich vorwärtsbewegenden Gregor. Die Violine verstummte, der mittlere 
          Zimmerherr lächelte erst einmal kopfschüttelnd seinen Freunden zu und 
          sah dann wieder auf Gregor hin. Der Vater schien es für nötiger zu halten, 
          statt Gregor zu vertreiben, vorerst die Zimmerherren zu beruhigen, trotzdem 
          diese gar nicht aufgeregt waren und Gregor sie mehr als das Violinspiel 
          zu unterhalten schien. Er eilte zu ihnen und suchte sie mit ausgebreiteten 
          Armen in ihr Zimmer zu drängen und gleichzeitig mit seinem Körper ihnen 
          den Ausblick auf Gregor zu nehmen. Sie wurden nun tatsächlich ein wenig 
          böse, man wußte nicht mehr, ob über das Benehmen des Vaters oder über 
          die ihnen jetzt aufgehende Erkenntnis, ohne es zu wissen, einen solchen 
          Zimmernachbar wie Gregor besessen zu haben. Sie verlangten vom Vater 
          Erklärungen, hoben ihrerseits die Arme, zupften unruhig an ihren Bärten 
          und wichen nur langsam gegen ihr Zimmer zurück. Inzwischen hatte die 
          Schwester die Verlorenheit, in die sie nach dem plötzlich abgebrochenen 
          Spiel verfallen war, überwunden, hatte sich, nachdem sie eine Zeitlang 
          in den lässig hängenden Händen Violine und Bogen gehalten und weiter, 
          als spiele sie noch, in die Noten gesehen hatte, mit einem Male aufgerafft, 
          hatte das Instrument auf den Schoß der Mutter gelegt, die in Atembeschwerden 
          mit heftig arbeitenden Lungen noch auf ihrem Sessel saß, und war in 
          das Nebenzimmer gelaufen, dem sich die Zimmerherren unter dem Drängen 
          des Vaters schon schneller näherten. Man sah, wie unter den geübten 
          Händen der Schwester die Decken und Polster in den Betten in die Höhe 
          flogen und sich ordneten. Noch ehe die Herren das Zimmer erreicht hatten, 
          war sie mit dem Aufbetten fertig und schlüpfte heraus. Der Vater schien 
          wieder von seinem Eigensinn derartig ergriffen, daß er jeden Respekt 
          vergaß, den er seinen Mietern immerhin schuldete. Er drängte nur und 
          drängte, bis schon in der Tür des Zimmers der mittlere der Herren donnernd 
          mit dem Fuß aufstampfte und dadurch den Vater zum Stehen brachte. »Ich 
          erkläre hiermit«, sagte er, hob die Hand und suchte mit den Blicken 
          auch die Mutter und die Schwester, »daß ich mit Rücksicht auf die in 
          dieser Wohnung und Familie herrschenden widerlichen Verhältnisse«  
          hierbei spie er kurz entschlossen auf den Boden  »mein Zimmer 
          augenblicklich kündige. Ich werde natürlich auch für die Tage, die ich 
          hier gewohnt habe, nicht das geringste bezahlen, dagegen werde ich es 
          mir noch überlegen, ob ich nicht mit irgendwelchen  glauben Sie 
          mir  sehr leicht zu begründenden Forderungen gegen Sie auftreten 
          werde.« Er schwieg und sah gerade vor sich hin, als erwarte er etwas. 
          Tatsächlich fielen sofort seine zwei Freunde mit den Worten ein: »Auch 
          wir kündigen augenblicklich.« Darauf faßte er die Türklinke und schloß 
          mit einem Krach die Tür. Das Vater wankte mit tastenden Händen zu seinem 
          Sessel und ließ sich in ihn fallen; es sah aus, als strecke er sich 
          zu seinem gewöhnlichen Abendschläfchen, aber das starke Nicken seines 
          wie haltlosen Kopfes zeigte, daß er ganz und gar nicht schlief. Gregor 
          war die ganze Zeit still auf dem Platz gelegen, auf dem ihn die Zimmerherren 
          ertappt hatten. Die Enttäuschung über das Mißlingen seines Planes, vielleicht 
          aber auch die durch das viele Hungern verursachte Schwäche machten es 
          ihm unmöglich, sich zu bewegen. Er fürchtete mit einer gewissen Bestimmtheit 
          schon für den nächsten Augenblick einen allgemeinen über ihn sich entladenden 
          Zusammensturz und wartete. Nicht einmal die Violine schreckte ihn auf, 
          die, unter den zitternden Fingern der Mutter hervor, ihr vom Schoße 
          fiel und einen hallenden Ton von sich gab. »Liebe Eltern«, sagte die 
          Schwester und schlug zur Einleitung mit der Hand auf den Tisch, »so 
          geht es nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht nicht einsehet, ich sehe 
          es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den Namen meines Bruders aussprechen, 
          und sage daher bloß: wir müssen versuchen, es loszuwerden. Wir haben 
          das Menschenmögliche versucht, es zu pflegen und zu dulden, ich glaube, 
          es kann uns niemand den geringsten Vorwurf machen.« »Sie hat tausendmal 
          recht«, sagte der Vater für sich. Die Mutter, die noch immer nicht genug 
          Atem finden konnte, fing in die vorgehaltene Hand mit einem irrsinnigen 
          Ausdruck der Augen dumpf zu husten an. Die Schwester eilte zur Mutter 
          und hielt ihr die Stirn. Der Vater schien durch die Worte der Schwester 
          auf bestimmtere Gedanken gebracht zu sein, hatte sich aufrecht gesetzt, 
          spielte mit seiner Dienermütze zwischen den Tellern, die noch vom Nachtmahl 
          der Zimmerherren her auf dem Tische lagen, und sah bisweilen auf den 
          stillen Gregor hin. »Wir müssen es loszuwerden versuchen«, sagte die 
          Schwester nun ausschließlich zum Vater, denn die Mutter hörte in ihrem 
          Husten nichts, »es bringt euch noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn 
          man schon so schwer arbeiten muß, wie wir alle, kann man nicht noch 
          zu Hause diese ewige Quälerei ertragen. Ich kann es auch nicht mehr.« 
          Und sie brach so heftig in Weinen aus, daß ihre Tränen auf das Gesicht 
          der Mutter niederflossen, von dem sie sie mit mechanischen Handbewegungen 
          wischte. »Kind«, sagte der Vater mitleidig und mit auffallendem Verständnis, 
          »was sollen wir aber tun?«  
         Die 
          Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen der Ratlosigkeit, die sie 
          nun während des Weinens im Gegensatz zu ihrer früheren Sicherheit ergriffen 
          hatte. »Wenn er uns verstünde«, sagte der Vater halb fragend; die Schwester 
          schüttelte aus dem Weinen heraus heftig die Hand zum Zeichen, daß daran 
          nicht zu denken sei. »Wenn er uns verstünde«, wiederholte der Vater 
          und nahm durch Schließen der Augen die Überzeugung der Schwester von 
          der Unmöglichkeit dessen in sich auf, »dann wäre vielleicht ein Übereinkommen 
          mit ihm möglich. Aber so « »Weg muß es«, rief die Schwester, »das 
          ist das einzige Mittel, Vater. Du mußt bloß den Gedanken loszuwerden 
          suchen, daß es Gregor ist. Daß wir es solange geglaubt haben, ist ja 
          unser eigentliches Unglück. Aber wie kann es denn Gregor sein? Wenn 
          es Gregor wäre, er hätte längst eingesehen, daß ein Zusammenleben von 
          Menschen mit einem solchen Tier nicht möglich ist, und wäre freiwillig 
          fortgegangen. Wir hätten dann keinen Bruder, aber könnten weiter leben 
          und sein Andenken in Ehren halten. So aber verfolgt uns dieses Tier, 
          vertreibt die Zimmerherren, will offenbar die ganze Wohnung einnehmen 
          und uns auf der Gasse übernachten lassen. Sieh nur, Vater«, schrie sie 
          plötzlich auf, »er fängt schon wieder an!« Und in einem für Gregor gänzlich 
          unverständlichen Schrecken verließ die Schwester sogar die Mutter, stieß 
          sich förmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie lieber die Mutter 
          opfern, als in Gregors Nähe bleiben, und eilte hinter den Vater, der, 
          lediglich durch ihr Benehmen erregt, auch aufstand und die Arme wie 
          zum Schutze der Schwester vor ihr halb erhob. Aber Gregor fiel es doch 
          gar nicht ein, irgend jemandem und gar seiner Schwester Angst machen 
          zu wollen. Er hatte bloß angefangen, sich umzudrehen, um in sein Zimmer 
          zurückzuwandern, und das nahm sich allerdings auffallend aus, da er 
          infolge seines leidenden Zustandes bei den schwierigen Umdrehungen mit 
          seinem Kopfe nachhelfen mußte, den er hierbei viele Male hob und gegen 
          den Boden schlug. Er hielt inne und sah sich um. Seine gute Absicht 
          schien erkannt worden zu sein; es war nur ein augenblicklicher Schrecken 
          gewesen. Nun sahen ihn alle schweigend und traurig an. Die Mutter lag, 
          die Beine ausgestreckt und aneinandergedrückt, in ihrem Sessel, die 
          Augen fielen ihr vor Ermattung fast zu; der Vater und die Schwester 
          saßen nebeneinander, die Schwester hatte ihre Hand um des Vaters Hals 
          gelegt. »Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen«, dachte Gregor 
          und begann seine Arbeit wieder. Er konnte das Schnaufen der Anstrengung 
          nicht unterdrücken und mußte auch hie und da ausruhen. Im übrigen drängte 
          ihn auch niemand, es war alles ihm selbst überlassen. Als er die Umdrehung 
          vollendet hatte, fing er sofort an, geradeaus zurückzuwandern. Er staunte 
          über die große Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte, und begriff 
          gar nicht, wie er bei seiner Schwäche vor kurzer Zeit den gleichen Weg, 
          fast ohne es zu merken, zurückgelegt hatte. Immerfort nur auf rasches 
          Kriechen bedacht, achtete er kaum darauf, daß kein Wort, kein Ausruf 
          seiner Familie ihn störte. Erst als er schon in der Tür war, wendete 
          er den Kopf, nicht vollständig, denn er fühlte den Hals steif werden, 
          immerhin sah er noch, daß sich hinter ihm nichts verändert hatte, nur 
          die Schwester war aufgestanden. Sein letzter Blick streifte die Mutter, 
          die nun völlig eingeschlafen war. Kaum war er innerhalb seines Zimmers, 
          wurde die Tür eiligst zugedrückt, festgeriegelt und versperrt. Über 
          den plötzlichen Lärm hinter sich erschrak Gregor so, daß ihm die Beinchen 
          einknickten. Es war die Schwester, die sich so beeilt hatte. Aufrecht 
          war sie schon da gestanden und hatte gewartet, leichtfüßig war sie dann 
          vorwärtsgesprungen, Gregor hatte sie gar nicht kommen hören, und ein 
          »Endlich!« rief sie den Eltern zu, während sie den Schlüssel im Schloß 
          umdrehte. »Und jetzt?« fragte sich Gregor und sah sich im Dunkeln um. 
          Er machte bald die Entdeckung, daß er sich nun überhaupt nicht mehr 
          rühren konnte. Er wunderte sich darüber nicht, eher kam es ihm unnatürlich 
          vor, daß er sich bis jetzt tatsächlich mit diesen dünnen Beinchen hatte 
          fortbewegen können. Im übrigen fühlte er sich verhältnismäßig behaglich. 
          Er hatte zwar Schmerzen im ganzen Leib, aber ihm war, als würden sie 
          allmählich schwächer und schwächer und würden schließlich ganz vergehen. 
          Den verfaulten Apfel in seinem Rücken und die entzündete Umgebung, die 
          ganz von weichem Staub bedeckt waren, spürte er schon kaum. An seine 
          Familie dachte er mit Rührung und Liebe zurück. Seine Meinung darüber, 
          daß er verschwinden müsse, war womöglich noch entschiedener als die 
          seiner Schwester. In diesem Zustand leeren und friedlichen Nachdenkens 
          blieb er, bis die Turmuhr die dritte Morgenstunde schlug. Den Anfang 
          des allgemeinen Hellerwerdens draußen vor dem Fenster erlebte er noch. 
          Dann sank sein Kopf ohne seinen Willen gänzlich nieder, und aus seinen 
          Nüstern strömte sein letzter Atem schwach hervor. Als am frühen Morgen 
          die Bedienerin kam  vor lauter Kraft und Eile schlug sie, wie 
          oft man sie auch schon gebeten hatte, das zu vermeiden, alle Türen derartig 
          zu, daß in der ganzen Wohnung von ihrem Kommen an kein ruhiger Schlaf 
          mehr möglich war , fand sie bei ihrem gewöhnlichen kurzen Besuch 
          an Gregor zuerst nichts Besonderes. Sie dachte, er liege absichtlich 
          so unbeweglich da und spiele den Beleidigten; sie traute ihm allen möglichen 
          Verstand zu. Weil sie zufällig den langen Besen in der Hand hielt, suchte 
          sie mit ihm Gregor von der Tür aus zu kitzeln. Als sich auch da kein 
          Erfolg zeigte, wurde sie ärgerlich und stieß ein wenig in Gregor hinein, 
          und erst als sie ihn ohne jeden Widerstand von seinem Platze geschoben 
          hatte, wurde sie aufmerksam. Als sie bald den wahren Sachverhalt erkannte, 
          machte sie große Augen, pfiff vor sich hin, hielt sich aber nicht lange 
          auf, sondern riß die Tür des Schlafzimmers auf und rief mit lauter Stimme 
          in das Dunkel hinein: »Sehen Sie nur mal an, es ist krepiert; da liegt 
          es, ganz und gar krepiert!« Das Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht 
          da und hatte zu tun, den Schrecken über die Bedienerin zu verwinden, 
          ehe es dazu kam, ihre Meldung aufzufassen. Dann aber stiegen Herr und 
          Frau Samsa, jeder auf seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr Samsa 
          warf die Decke über seine Schultern, Frau Samsa kam nur im Nachthemd 
          hervor; so traten sie in Gregors Zimmer. Inzwischen hatte sich auch 
          die Tür des Wohnzimmers geöffnet, in dem Grete seit dem Einzug der Zimmerherren 
          schlief; sie war völlig angezogen, als hätte sie gar nicht geschlafen, 
          auch ihr bleiches Gesicht schien das zu beweisen. »Tot?« sagte Frau 
          Samsa und sah fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles selbst 
          prüfen und sogar ohne Prüfung erkennen konnte. »Das will ich meinen«, 
          sagte die Bedienerin und stieß zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen 
          noch ein großes Stück seitwärts.  Frau 
          Samsa machte eine Bewegung, als wolle sie den Besen zurückhalten, tat 
          es aber nicht. »Nun«, sagte Herr Samsa, »jetzt können wir Gott danken.« 
          Er bekreuzte sich, und die drei Frauen folgten seinem Beispiel. Grete, 
          die kein Auge von der Leiche wendete, sagte: »Seht nur, wie mager er 
          war. Er hat ja auch schon so lange Zeit nichts gegessen. So wie die 
          Speisen hereinkamen, sind sie wieder hinausgekommen.« Tatsächlich war 
          Gregors Körper vollständig flach und trocken, man erkannte das eigentlich 
          erst jetzt, da er nicht mehr von den Beinchen gehoben war und auch sonst 
          nichts den Blick ablenkte. »Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein«, 
          sagte Frau Samsa mit einem wehmütigen Lächeln, und Grete ging, nicht 
          ohne nach der Leiche zurückzusehen, hinter den Eltern in das Schlafzimmer. 
          Die Bedienerin schloß die Tür und öffnete gänzlich das Fenster. Trotz 
          des frühen Morgens war der frischen Luft schon etwas Lauigkeit beigemischt. 
          Es war eben schon Ende März.  Aus 
          ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren und sahen sich erstaunt nach 
          ihrem Frühstück um; man hatte sie vergessen. »Wo ist das Frühstück?« 
          fragte der mittlere der Herren mürrisch die Bedienerin. Diese aber legte 
          den Finger an den Mund und winkte dann hastig und schweigend den Herren 
          zu, sie möchten in Gregors Zimmer kommen. Sie kamen auch und standen 
          dann, die Hände in den Taschen ihrer etwas abgenützten Röckchen, in 
          dem nun schon ganz hellen Zimmer um Gregors Leiche herum. Da öffnete 
          sich die Tür des Schlafzimmers, und Herr Samsa erschien in seiner Livree, 
          an einem Arm seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle waren ein wenig 
          verweint; Grete drückte bisweilen ihr Gesicht an den Arm des Vaters. 
          »Verlassen Sie sofort meine Wohnung!« sagte Herr Samsa und zeigte auf 
          die Tür, ohne die Frauen von sich zu lassen. »Wie meinen Sie das?« sagte 
          der mittlere der Herren etwas bestürzt und lächelte süßlich. Die zwei 
          anderen hielten die Hände auf dem Rücken und rieben sie ununterbrochen 
          aneinander, wie in freudiger Erwartung eines großen Streites, der aber 
          für sie günstig ausfallen mußte. »Ich meine es genau so, wie ich es 
          sage«, antwortete Herr Samsa und ging in einer Linie mit seinen zwei 
          Begleiterinnen auf den Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da 
          und sah zu Boden, als ob sich die Dinge in seinem Kopf zu einer neuen 
          Ordnung zusammenstellten. »Dann gehen wir also«, sagte er dann und sah 
          zu Herrn Samsa auf, als verlange er in einer plötzlich ihn überkommenden 
          Demut sogar für diesen Entschluß eine neue Genehmigung. Herr Samsa nickte 
          ihm bloß mehrmals kurz mit großen Augen zu. Daraufhin ging der Herr 
          tatsächlich sofort mit langen Schritten ins Vorzimmer; seine beiden 
          Freunde hatten schon ein Weilchen lang mit ganz ruhigen Händen aufgehorcht 
          und hüpften ihm jetzt geradezu nach, wie in Angst, Herr Samsa könnte 
          vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die Verbindung mit ihrem Führer 
          stören. Im Vorzimmer nahmen alle drei die Hüte vom Kleiderrechen, zogen 
          ihre Stöcke aus dem Stockbehälter, verbeugten sich stumm und verließen 
          die Wohnung. In einem, wie sich zeigte, gänzlich unbegründeten Mißtrauen 
          trat Herr Samsa mit den zwei Frauen auf den Vorplatz hinaus; an das 
          Geländer gelehnt, sahen sie zu, wie die drei Herren zwar langsam, aber 
          ständig die lange Treppe hinunterstiegen, in jedem Stockwerk in einer 
          bestimmten Biegung des Treppenhauses verschwanden und nach ein paar 
          Augenblicken wieder hervorkamen; je tiefer sie gelangten, desto mehr 
          verlor sich das Interesse der Familie Samsa für sie, und als ihnen entgegen 
          und dann hoch über sie hinweg ein Fleischergeselle mit der Trage auf 
          dem Kopf in stolzer Haltung heraufstieg, verließ bald Herr Samsa mit 
          den Frauen das Geländer, und alle kehrten, wie erleichtert, in ihre 
          Wohnung zurück. Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen 
          zu verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, 
          sie brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch 
          und schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa an seine Direktion, 
          Frau Samsa an ihren Auftraggeber und Grete an ihren Prinzipal. Während 
          des Schreibens kam die Bedienerin herein, um zu sagen, daß sie fortgehe, 
          denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei Schreibenden nickten zuerst 
          bloß, ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht 
          entfernen wollte, sah man ärgerlich auf. »Nun?« fragte Herr Samsa. Die 
          Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als habe sie der Familie ein großes 
          Glück zu melden, werde es aber nur dann tun, wenn sie gründlich ausgefragt 
          werde. Die fast aufrechte kleine Straußfeder auf ihrem Hut, über die 
          sich Herr Samsa schon während ihrer ganzen Dienstzeit ärgerte, schwankte 
          leicht nach allen Richtungen. »Also was wollen Sie eigentlich?« fragte 
          Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am meisten Respekt hatte. 
          »Ja«, antwortete die Bedienerin und konnte vor freundlichem Lachen nicht 
          gleich weiterreden, »also darüber, wie das Zeug von nebenan weggeschafft 
          werden soll, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Es ist schon in Ordnung.« 
          Frau Samsa und Grete beugten sich zu ihren Briefen nieder, als wollten 
          sie weiterschreiben; Herr Samsa, welcher merkte, daß die Bedienerin 
          nun alles ausführlich zu beschreiben anfangen wollte, wehrte dies mit 
          ausgestreckter Hand entschieden ab. Da sie aber nicht erzählen durfte, 
          erinnerte sie sich an die große Eile, die sie hatte, rief offenbar beleidigt: 
          »Adjes allseits«, drehte sich wild um und verließ unter fürchterlichem 
          Türezuschlagen die Wohnung. »Abends wird sie entlassen«, sagte Herr 
          Samsa, bekam aber weder von seiner Frau noch von seiner Tochter eine 
          Antwort, denn die Bedienerin schien ihre kaum gewonnene Ruhe wieder 
          gestört zu haben. Sie erhoben sich, gingen zum Fenster und blieben dort, 
          sich umschlungen haltend. Herr Samsa drehte sich in seinem Sessel nach 
          ihnen um und beobachtete sie still ein Weilchen.  
          
          
          
          
        Dann rief er: »Also kommt doch her. Laßt schon endlich die alten Sachen. 
          Und nehmt auch ein wenig Rücksicht auf mich.« Gleich folgten ihm die 
          Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und beendeten rasch ihre Briefe. 
          Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, was sie schon 
          seit Monaten nicht getan hatten, und fuhren mit der Elektrischen ins 
          Freie vor die Stadt. Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz von 
          warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, bequem auf ihren Sitzen 
          zurückgelehnt, die Aussichten für die Zukunft, und es fand sich, daß 
          diese bei näherer Betrachtung durchaus nicht schlecht waren, denn aller 
          drei Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich noch gar nicht 
          ausgefragt hatten, überaus günstig und besonders für später vielversprechend. 
          Die größte augenblickliche Besserung der Lage mußte sich natürlich leicht 
          durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten nun eine kleinere und 
          billigere, aber besser gelegene und überhaupt praktischere Wohnung nehmen, 
          als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte war. Während sie sich 
          so unterhielten, fiel es Herrn und Frau Samsa im Anblick ihrer immer 
          lebhafter werdenden Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten 
          Zeit trotz aller Plage, die ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem 
          schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht war. Stiller werdend und fast 
          unbewußt durch Blicke sich verständigend, dachten sie daran, daß es 
          nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann für sie zu suchen. Und es 
          war ihnen wie eine Bestätigung ihrer neuen Träume und guten Absichten, 
          als am Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und ihren 
          jungen Körper dehnte.  
          
          
          
          
         
         
           
            | Een 
              bookwerk met 60 pagina's met reproducties van vele van deze potloodtekeningen 
              is uitgegeven door Porte Folio 
              in 1992 
             |  
               METAMORPHOSEN © Martin Linnartz, 
                St. Agnesstraat 
                4, 6241 CB Bunde, The Netherlands.   
           |  
         
         
        No 
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